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Augen für Rollstühle, Autos und Hubschrauber

 

Leistungsfähige Computer und Software lassen Maschinen sehen und verstehen

Auf dem Gelände liegen Behälter mit radioaktivem Müll, chemischen Giften tödlichen Viren; ein Tankwagen ist umgekippt, eine Stichflamme schießt 15 Meter hoch in die Luft und in diesem Chaos sollen die Retter auch noch verschüttete Opfer bergen. Menschen in diese Hölle zu schicken, wäre verantwortungslos, hier helfen nur Roboter oder autonom fliegende Hubschrauber.

Das Szenario ist die Vorgabe eines der weltweit anspruchvollsten Wettbewerbe von Hochschulen, der im Jahr 2000 mit dem "Millenial Event" abgeschlossen wird. Die Vorentscheidung im letzten Sommer hat Marvin bravourös gewonnen: Das Multi-Purpose Aerial Robot Vehicle with Intelligent Navigation ist der selbstständig fliegende Erkundungshelikopter. Für sein Team von der Technischen Universität Berlin hat Marvin (Korr. des Webmasters) siegte er mit "großem Abstand zu unseren Konkurrenten aus Boston und Berkeley", wie Roboterexperte Marek Musial stolz erzählt. Über Marvin berichtete er kürzlich auf einer Tagung zum Thema "Autonome Mobile Systeme".

Schnelligkeit erforderlich

Das Fazit der versammelten Experten: Roboter finden zunehmend den Weg vom Forschungslabor in die praktische Anwendung, ob sie nun in holländischen Supermärkten ihre Kreise ziehen, Baumarkt-Kunden als Lotsen dienen, oder sich als Auto selbsttätig durch den Stadtverkehr bewegen. Akzeptiert werden die Maschinen aber nur, wenn sie sich menschengemäß verhalten. Deshalb lassen sie sich zunehmend über Sprachbefehle steuern Eines der größten technischen Probleme besteht freilich darin, dass Roboter ihre Umgebung schnell erfassen und richtig bewerten. Gerade auf diesem Gebiet gelangen den Forschern in den letzten Jahren wesentliche Fortschritte.

Rolland, der autonome Rollstuhl der Universität Bremen setzt beispielsweise auf 27 Ultraschallsensoren, die ihre Umgebung abtasten "Das System fertigt sehr schnell eine auf Zentimeter genaue Hinderniskarte an, die bei der Bewegung des Rollstuhls ständig überprüft und aktualisiert wird", erklärt Projektleiter Thomas Röfer. Nicht einmal im Gedränge der Hannovermesse sei es zu Kollisionen mit Personen oder Hindernissen gekommen Um die Daten auszuwerten, sagt Röfer, genüge dabei ein Standard-PC Der Benutzer gibt dem Rollstuhl nur wenige rudimentäre Befehle. So bedeutet eine kreisende Bewegung mit dem Joystick "Wenden", und für das Fahren durch eine enge Tür reicht die ungefähre Richtungsangabe. In Zukunft soll Rolland auch auf Sprachbefehle reagieren. Damit würden selbst Patienten, die weder Hände noch Beine bewegen können, wieder mobil.

Ultraschall benützt auch der Hubschrauber Marvin, zusammen mit einem erweiterten GPS-Satellitensystem für die zentimetergenaue Ortsbestimmung Für die Ausweichmanöver um Brandbereiche setzt Marvin zusätzlich auf einen Ultraviolett-Sensor, der brennende Streichhölzer noch in fünf Meter Entfernung registriert.

Damit lassen sich freilich noch keine Personen, Giftfässer oder Stichflammen erkennen. Dazu überträgt eine Digitalkamera alle neun Sekunden via Funk ein gestochen scharfes Bild an die Bodenstation, die es automatisch analysiert. "Diese langsame Bildfrequenz reicht aus, um die gesuchten Objekte zu finden", sagt Marek Musial. Eine Videokamera ist zu schwer und verbraucht zu viel Strom.

Im Auto spielt das Gewicht dagegen eine geringere Rolle. Zwei Schwarz-Weiß-Videokameras, eine zusätzliche Farbkamera und ein Pentiumrechner im Kofferraum sind die Augen beziehungsweise das Gehirn von Uta, einem Mercedes der S-Klasse. Den Urban Traffic Assistant das weltweit erste System für den Innenstadtverkehr, stellten Daimler-Forscher kürzlich vor. Utas Aufgabe, so Projektleiter Uwe Franke, ist der "autonome Stop-and-Go-Betrieb in Innenstädten": Das Auto soll einem vorausfahrenden Pkw selbsttätig folgen können, wobei es nicht nur Lenkung und Bremse übernimmt, sondern auch Fahrbahnbegrenzungen, Zebrastreifen, Ampeln, Verkehrsschilder und vor allem plötzlich auftauchende Fußgänger erkennt.

"Auffahrunfälle würden mit diesem System der Vergangenheit angehören", glaubt Franke. Mehr als die Hälfte aller Unfälle an Ampelkreuzungen ließen sich Studien zufolge vermeiden, wenn der Fahrer rechtzeitig gewarnt würde. Uta soll den Fahrer nicht entmündigen, ihn aber in Stress-Situationen entlasten. Kern des Systems ist eine "Multiagenten-Architektur", in deren Rahmen sich zahlreiche Softwaremodule, die Agenten, austauschen. Dazu gehören Programme, die Bilder verarbeiten, Fahrzeuge steuern oder Ampeln erkennen.

Jeder Agent arbeitet selbstständig, konkurriert dabei aber auch mit den anderen um die Aufmerksamkeit der Entscheidungs-Software. Damit kann der Computer sein Augenmerk den relevanten Dingen zuwenden, wie es auch ein Mensch im Verkehr tut. Ein Beispiel: Läuft ein Fußgänger direkt vor dem Auto über die Straße, so wird die Rechenleistung sofort reserviert, um eine Kollision zu verhindern.

Nicht bei Nacht geeignet

Dank der Stereobilder von den beiden Kameras kann der Rechner die Entfernung gut einschätzen. Die Objekte selbst erkennt er in mehreren Stufen: Anhand von tausenden Beispielen hat der Computer zunächst die Größe, Form und Farbe von Verkehrszeichen, Autos und Fußgängern gelernt. Wenn Größenanalyse und Silhouette noch keine endgültigen Ergebnisse liefern, werden die Bilder verglichen, die 25-mal pro Sekunde aufeinander folgen. "Gehende Fußgänger lassen sich dann zweifelsfrei anhand ihrer charakteristischen Beinbewegungen identifizieren", erklärt Uwe Franke.

Dennoch ist Uta keineswegs perfekt: In Stuttgart zeigte sich, dass zwei Menschen, die nebeneinander stehen, schon einmal für ein Auto gehalten werden oder das Rücklicht eines Fahrzeugs für eine Ampel. Als extrem schwierig erwies sich zudem die Aufgabe zu entscheiden, welche Ampeln für eine Querstraße oder die eigene Fahrbahn gelten. Auch bei Regen, Nacht und Nebel kann Uta den gestressten Fahrer kaum unterstützen. Hier sollen in Zukunft neue Kamera-Chips helfen, die selbst bei starken Hell-Dunkel-Kontrasten dasselbe leisten wie das menschliche Auge Projektmitarbeiter Christian Wöhler bleibt jedoch realistisch: "Trotz aller Technik wird ein Fahrer, der sich extrem konzentriert, immer besser sein als ein Computersystem", urteilt er. Insbesondere Lkw-Fahrer schlafen auf den oft eintönigen Autobahnstrecken leicht ein. Unfälle vermeiden helfen soll der erste "sehende Assistent", den DaimlerChrysler in diesen Wochen auf den Markt bringt: Das Lane Departure Warning System warnt mit einem akustischen Signal den Fahrer, wenn er im Begriff ist, die Fahrspur zu verlassen. Dies sei nur der Anfang, prophezeit Franke.

Die Stereobildkamera als Sensor: Das Abbild der Umgebung muss in hoher Auflösung gewonnen und ausgewertet werden, wenn der Autofahrer entlastet werden soll. Foto: DaimlerChrysler

 
   
Autor: Ulrich Eberl
 
  Raumkognition 
Zuletzt geändert am: 7. März 2002   impressum