Bremer Informatiker sind dabei, ein selbständig fahrendes
Transportvehikel für Behinderte zu konstruieren
Wenn "Rolland" sich durch die
Gänge des Bremer Technologie-Zentrums Informatik bewegt,
kann es einem mulmig werden: Ein Rollstuhl, der seinen
Weg völlig selbständig findet, ist ja auch nichts Alltägliches.
Dahinter verbirgt sich aber weder Magie noch
Fernsteuerung - sondern ein neues Konzept von Bremer
Informatikern. Ihr Ziel: Ein Fahrbefehl von Behinderten
genügt und der Rollstuhl fährt von allein ans einmal
gewählte Ziel - etwa aus dem Wohnzimmer in die Küche. Dabei
helfen ihm seine "Sinnesorgane": Beim ersten
Gefährt waren es ein Dutzend Ultraschall- und sechs
Infrarotsensoren, die reflektierte Schall- und
Lichtwellen messen. Zusätzlich sollten zwölf Berührungssensoren
Zusammenstöße verhindern.
Gespickt mit Technik, wirkte der erste Elektro-Rolli
wie ein neumodischer Gefechtsstand aus einem B-Movie. Das
hat sich mit dem zweiten Prototypen namens "Rolland"
bereits geändert und wird weiter verbessert, wenn er in
Kleinserie geht. Schon im Sommer 1998 wollen die Bremer
die erste Stufe fertigstellen: Einen Fahrassistenten, der
Schwerstbehinderte bei der Steuerung des E-Rollstuhls
unterstützt und Hindernissen ausweicht. "Das ist
etwa für Spastiker interessant, die eigentlich gut mit
einem Elektro-Rollstuhl zurechtkommen, aber gelegentlich
ihre Feinmotorik nicht unter Kontrolle haben", sagt
Thomas Röfer vom Bremer Institut für Sichere Systeme.
Auch bewegte Hindernisse bringen "Rolland"
nicht aus der Ruhe. Denn Einträge in seiner lokalen
Hinderniskarte vergißt er schnell. Und eben dadurch wird
vermieden, daß etwa der auf der Bildfläche erscheinende
Zivildienstleistende als dauerhaftes Hindernis
gespeichert wird.
"Die letzte Stufe des eigenständig navigierenden
Rollstuhls würde einer Benutzergruppe zugute kommen, die
bisher überhaupt nicht in der Lage ist, einen Rollstuhl
zu fahren", sagt Hans-Joachim Wahlen von der Firma
Meyra, die mit den Bremern zusammenarbeitet. Das sind zum
Beispiel Menschen, die unter multipler Sklerose im
fortgeschrittenen Stadium leiden oder Tetraspastiker,
also Menschen mit schweren Koordinationsstörungen.
Damit das Gerät so funktioniert, müssen statische
Objekte wie Schränke oder Raumecken zur Orientierung
genutzt werden können. Der Clou: Aus Bildfolgen
berechnet der Bordcomputer sogar Tiefeninformationen und
bestimmt so anhand einer gespeicherten Umgebungskarte, wo
er sich befindet.
Damit ihr Rollstuhl auch solche Probleme löst, die
normale Umgebungen stellen - Menschen, Gegenstände oder
Pflanzen können verschwinden oder ihre Farbe ändert
sich - kooperieren die Bremer Informatiker mit
Psychologen im Schwerpunktprogramm "Raumkognition"
der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Ziel dieser Arbeit
ist zu verstehen, was im Gehirn von Menschen und Tieren
passiert, wenn Aufgaben, die räumliche Wahrnehmung
erfordern, zu bewältigen sind.
|
Der erste Prototyp der "denkenden"
Rollstuhls erkennt dank zahlreicher Sensoren seine
Umgebung. Eleganter sieht sein Nachfolger "Rolland"
aus (links) GEO, Seite 167, Mai 1998
|